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wiesflecker-architekten zt gmbh
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historische einschreibungen

die „bauhistorische untersuchung zum objekt unterer stadtplatz 16, gasthof goldener hirsch“ entpuppt sich schon nach wenigen seiten als erstaunlich spannende lektüre. in dieser genauigkeit nur selten durchgeführt, zeichnet die vom denkmalamt angeregte analyse die bewegte geschichte eines
stadthauses über mehr als 500 jahre nach, vom gotischen bestandsbau bis zum jahrelangen leerstand der letzten jahre. da ist von einer „wurstfabrik mit schlachtraum, selche und wursterei“ die rede, von einem billardzimmer um 1901, etwas später vom großen, stuckverzierten „saal für kino- und varietévorstellungen“, der kurz darauf den zubau eines erkers zur „unterbringung des operationsapparates für den kinobetrieb“ erforderte. in den 1960er jahren war hier ein bankinstitut untergebracht, dann eine bar, disco und tabledance und sogar ein spielcasino. all diese nutzungen haben sich in das altstadthaus eingeschrieben und hinterließen spuren, die der ursprünglichen bausubstanz nicht immer gut taten, sie überlagerten, vertäfelten und zupinselten. so war der erste akt des bauens eigentlich ein ab-bauen und schichtenweises freilegen des historischen bestands, was schließlich sogar reste der kufsteiner stadtmauer und zwingermauer zum vorschein brachte, wie sie nirgends sonst so deutlich zu erkennen sind.


lebendige urbanität

rund um den leicht zum inn hin geneigten, immer belebten kufsteiner stadtplatz, zu dem der ehemalige goldene hirsch — jetzt heißt er passenderweise platzhirsch — gehört, hat sich die stadt in den letzten zehn oder mehr jahren städtebaulich enorm entwickelt und hervorragende architektur ermöglicht. auch johannes wiesflecker mischt dabei schon länger mit, etwa mit der erweiterung des gymnasiums oder dem stadttheater im kulturquartier. das rathaus wurde von köberl, giner + wucherer gekonnt saniert, riccione architekten haben die elegante musikschule beigetragen, mit der fachhochschule von henke schreieck hat die entwicklung zu einer lebendigen und urbanen studentenstadt vor über 20 jahren überhaupt
begonnen. die gründung einer innerstädtischen schutzzone wurde 2013 kontrovers diskutiert, inzwischen erzeugt sie aber einen fruchtbaren dialog zwischen denkmalamt und architektinnen, den johannes wiesflecker durchaus lobt — auch in diesem fall. landeskonservator walter hauser war ebenso einer der ermöglicher des projekts, wie das bauunternehmen bodner als bauherr, das sich in seiner heimatstadt doppelt verantwortlich fühlte und die schon früh involvierte lokale betreiberfamilie, die hier nun ein kleines, individuelles hotel mit restaurant, wiener kaffeehaus und eigener rösterei eröffnet hat.


klare kantenschläge

nachdem also entrümpelt und abgetragen war, entschieden sich wiesflecker architekten für ein interessantes
konzept: der freigelegte zustand der restaurierung wurde quasi eingefroren und nirgends mit einer neuen schicht versiegelt. so bleiben die roten ochsenblutstreifen an den graten des gotischen eingangsgewölbes ebenso sichtbar wie die reste dekorativer wandmalereien aus dem 19. jahrhundert oder spuren von großen stadtereignissen wie dem brand von 1504. manche hätten schon gefragt, wann es mit dem rohbau endlich weiter ginge. gleichzeitig setzten die architektinnen klare zeitgenössische elemente, einen „harter
kantenschlag“ wie sie es nennen, an wenigen definierten stellen. exemplarisch dafür ist das neue treppenhaus. es ist nicht nur vertikalerschließung, sondern eine starke raumskulptur aus brettgeschaltem
sichtbeton und terrazzo, die tageslicht weit in den engen baukörper hineinholt und unerwartete lufträume und durchblicke erzeugt. aber auch im erdgeschoss, beim statisch nicht erhaltbaren tonnengewölbe wurde auf eine anbiedernde attrappe oder rekonstruktion verzichtet und vielmehr das gewölbe in sägerau geschaltem beton neu interpretiert. die spannende historische raumfolge, deren proportionen spürbar harmonisch schwingen, bleibt erhalten. trotzdem zeigt sich architektonisch klar das 21. jahrhundert. und so
setzt sich das konzept konsequent fort — im sichtbar neuen, stahlblechverkleideten erker an der hoffassade oder der unbeschwerten integration der meterdicken stadtmauerreste in die toiletten. auch alle notwenigen statischen verstärkungen wie horizontale spannglieder aus beton blieben konsequent sichtbar.

fuge und fassadenspiel

15 zimmer verteilen sich auf vier stockwerke des platzseitigen gebäudeteils. manch haben ein zweites
fenster zum lichthof hin, dessen Öffnungen akribisch rekonstruiert wurden. die materialität ist auch in der innenausstattung an genehm haptisch, rau, nie steril und dem restaurierungskonzept angemessen; unebene wände mit spuren, flecke und vielfältigen farbschattierungen, verputzt wurde nur, was neu hinzugekommen ist. das filetstück, ein giebelzimmer im dachgeschoss, ist ergebnis einer aufstockung des altbestands, bei dem ein geschicktes manöver mehr höhe und eine große terrasse mit blick zur mächtigen
kufsteiner festung ermöglichte: der alte dachstuhl war nicht zu erhalten, so wurde das oberste ende der historischen fassade bewusst als „kulissenarchitektur“ bewahrt und mehrere meter dahinter eine neue, transparente giebelwand gesetzt. vom platz aus nicht zu sehen, ermöglicht diese zweite schicht eine zeitgemäße hotel nutzung. im untergeschoss liegt neben der charmanten kaffeerösterei ein fast kapellenartig anmutender veranstaltungsraum mit zugang zum innenhof, wo die historischen stadtmauern gekonnt in szene gesetzt werden. der hof ist zugleich zäsur und wichtige fuge zum zweiten gebäudeteil hin, der nach hinten richtung marktgasse schaut und, weil historisch nicht wertvoll, gänzlich abgerissen und
neu errichtet wurde. von hier aus lässt sich wunderbar die dramaturgie der fassadentypen dieses projekts wahrnehmen: die historische schauseite zum stadtplatz hin, die spielerische hoffassade mit kuriosen erbstücken aus allen bauepochen, die lochfassade des für büros genutzten marktgassenbaukörpers und, hat man diesen schließlich durchquert, die moderne rückseite als zeitgemäße interpretation einer erkerfassade. das leidenschaftliche anselm dersetzen mit jedem detail ist diesem projekt ebenso anzumerken, wie die klare haltung der architektinnen im großen: alt und neu ergeben im dialog auf augenhöhe ein neues, noch besseren ganzen.

nicola weber, 2022. architektur. aktuell. 84-97